Lebensschützerin Alexandra Maria Linder am 23.11.2024 beim Kreiskatholikenrat in Gummersbach
Während der „Marsch für das Leben“ in Berlin und Köln von vielfältigem Protest begleitet und zum Teil erfolgreich blockiert wurde, wurde vom Treffen des Kreiskatholikenrates Oberberg kaum Notiz genommen. Unter dem Motto „Menschenwürde im 21. Jahrhundert – (un)antastbar?“ konnte Linder ihre Thesen zum Schutz vorgeburtlichen Lebens bei Kaffee und Kuchen referieren.

Die Referentin
Alexandra Maria Linder hat ihre Schulzeit in Gummersbach verbracht, was zur Entscheidung beigetragen haben mag, sie einzuladen. Ihr berufliches Portfolio ist reichlich bunt, häufig war sie bei ihren Stellen auch als Dozentin und Referentin tätig. Seit 2017 ist sie Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, außerdem journalistisch tätig und Autorin zweier einschlägiger Bücher.
Der Bundesverband Lebensrecht als Sammlung von Lebensschutzgruppen
Der „Bundesverband Lebensrecht“, dessen Vorsitzende Linder ist, ist ein Zusammenschluss von Lebensschutzgruppen. Seine Hauptaktivität besteht darin, den „Marsch für das Leben“ zu organisieren, der 2024 zum zweiten Mal parallel in Köln und Berlin stattfand. Ziel der Lebensschutzbewegung – so wird stets beteuert – sei der Schutz jeden Lebens, wobei der Kampf gegen Abtreibungen das vorderste Anliegen der Lebensschutz-Lobby ist.
Das Leben eines Kindes beginnt nach Auffassung der christlichen Fundamentalist*innen bereits mit der Verschmelzung zweier Zellen („fertiges Leben“). 1.000 Abtreibungen je Werktag meinte man errechnen zu können und gründete dagegen den Tausend-Kreuze-Marsch als Vorläufer der heutigen Märsche. Von der grabesschwer gezeigten Trauer ist wenig übriggeblieben, mittlerweile dominiert ein professionalisierter, penetrant fröhlich-bunter Happening-Charakter.

Marsch für das Leben 2024 in Köln. Foto: dokunetzwerk rhein-main
Der Verband tritt jedoch auch – und zum Teil im Widerspruch zum vorgeblichen Ziel, jegliches Leben schützen zu wollen – gegen In-vitro-Fertilisation, Leihmutterschaft und künstliche Befruchtung an, und damit quasi nebenbei gegen den Kinderwunsch queerer Paare. Nicht zuletzt steht der Kampf gegen Verhütung und Sterbehilfe auf der Agenda der Lebensschützer*innen, flankiert von Beratungstätigkeiten und caritativen Einrichtungen, die die gesellschaftlichen Härten gegenüber denen, die auf Verlangen leben und gebären sollen, etwas abfedern.
Wenig bis gar nichts hört man von der Pro-Life-Bewegung zu den Geflüchteten, die im Mittelmeer ertrinken oder zum Verdursten in der Wüste ausgesetzt werden. In Bezug auf den NS interessieren zwar noch die Zwangssterilisationen, einen Leugner der Shoah wie den Neonazi Ralf Löhnert duldet man aber gleich mehrfach auf den Lebensmärschen
Inhaltlicher Anschluss an die extreme Rechte
Linder macht es sich recht einfach, wenn sie die Nähe zur extremen Rechten damit abtut, dass sie schließlich nicht bestimmen könne, wer an ihren Märschen teilnimmt. Es gehört ihrerseits schon viel aktive Ignoranz dazu, inhaltliche Berührungspunkte zu leugnen und die Attraktivität ihrer Events für die extreme Rechte für Zufall zu halten.
Die Gemeinsamkeiten beginnen mit handfesten Verschwörungserzählungen wie dem vorgeblichen „Krieg gegen Kinder, Menschen und Geburten“, wie ihn John Deighan zu erleben glaubt. Deighan ist im Vorstand der irischen „Society for the protection of unborn children“ und er war Redner beim Marsch für das Leben 2024 in Köln. Deighan glaubt auch, dass eine kleine „kreative Minderheit“ (die Lebensschützer) durch vollständige Informationskontrolle der dominierenden Mehrheit beherrscht würde. Die Gegner seien die „Kräfte des Säkularismus“, mit denen man sich in einem Kampf der Kulturen befände. Cornelia Kaminski, Bundesvoritzende von „ALfA e.V.“ spricht von einer Abtreibungsindustrie und Gruppen von Menschen, die davon „beseelt“ wären, ungeborene Kinder zu töten. Von einer „Tötungsmaschinerie“ spricht im Interview dauch der Vorsitzende der „Ärzte für das Leben“ und Hubertus Hüppe, MdB für die CDU, weiß, dass die Abtreibungszahlen gestiegen wären, seitdem „Werbung“ für Abtreibung erlaubt wäre.
Das Raunen von sinistren Kräften, die einen brutalen Krieg gegen Säuglinge und Kinder führen würden, bedient ungeniert antisemitische Stereotype und schließt an aktuelle rechte Verschwörungserzählungen an. Der Begriff „Kulturkampf“ steht in kirchlichen Kreisen für die Ablösung der vormodernen Kirchenherrschaft durch den säkularisierten Staat. Als prominentes Kampfbegriff der sogenannten neuen Rechten behauptet er den gezielten Angriff auf die europäische Kultur und steht in einem völkischen Kontext: das genuin christliche Europa oder wahlweise die deutsche Kultur gelte es gegen (muslimische) Migrant*innen, nicht-weiße Deutsche, Feminist*innen und LGBTQI* zu verteidigen.
Gemeinsam ist der extremen Rechten auch das traditionelle Familien- und Frauenbild. Zum „Kulturkampf“ gehöre die Bewahrung der intakten Familie mit einer fürsorglichen Frau, einem starken, kampferprobten Mann und umsorgten und beschützten Kindern, wissen völkische Neonazis, Neu-Rechte – und Lebensschützer*innen. „Geschäft Abtreibung“ betitelte Alexandra Maria Linder ihr erstes Buch und spricht Frauen damit einmal mehr das Selbstbestimmungsrecht ab, objektifiziert sie und macht sie zu Opfern blanker geschäftlicher Interessen: Auch hier ein inhärentes antisemitisches Motiv.
Lebenschützer*innen wie die extreme Rechte verbindet der Angriff auf die Integrität und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Beide verlangen von Frauen die Aufgabe eigener Interessen zugunsten von (ungewollten) Schwangerschaften und ein Leben als Mutter in traditionellen Familienverhältnissen, also an genau dem Ort, an dem Frauen am häufigsten Gewalt ausgesetzt sind. Gemeinsam sind beiden neben dem Feindbild der emanzipierten Frau auch die Ablehnung von LGBTQI*-Personen, die sich immer stärker in blankem Hass und Gewalt bis hin zu terroristischen Anschlägen steigert. Die Parole der Gegnerinnen der Lebensschützer „My body, my Choice“ wurde vom extrem rechten US-amerikanischen Influencer Nicholas Fuentes nach der erneuten Wahl Donald Trumps zynisch verdreht in „Your body, my choice“. Offener kann ein Cis-Mann den allumfassenden Besitzanspruch und das Recht auf Gewalt gegenüber Frauen und LGBTQI*-Personen wohl kaum rauskotzen.
Nicht alle Lebenschützer*innen werden sich damit identifizieren können und wollen. Aber alle Anhänger*innen der extrem Rechten hängen der Ideologie der Lebenschützer an. So kann es kaum verwundern, dass sich auf deren Märschen stets Neonazis und Neu-Rechte finden lassen.

Simon Blumencron, IB und Burschenschaftler der Germania Köln beim Marsch für das Leben 2024 in Köln. Foto dokunetzwerk rhein-main
Neonazis, Neue Rechte und Burschenschafter marschieren mit
Zahlreiche AfD-Politiker*innen nutzen die Lebensschützer-Märsche für Auftritte: 2015 führte die damalige AfD-Abgeordnete im Europaparlament, Beatrix von Storch, den Marsch mit an. Auch Joachim Kuhs, Vorsitzender der „Christen in der AfD“ marschierte bereits mit und Maximilian Krah lobte die Märsche als „Fixstern“ im Kampf um das ungeborene Leben.
2018 hatte keineR der Organisator*innen in Berlin ein Problem damit, Ralf Löhnert, seines Zeichens Neonazi, Holocaust-Leugner, und Verehrer von Rudolf-Hess in ihren Reihen zu dulden.
Der Regensburger Bischof Rudolf Vorderholzer regte sich 2023 als Teilnehmer des Berliner Marschs nicht über den Jungrechten auf, der neben ihm einer Journalistin das White-Power-Zeichen zeigte, sondern über eben jene Journalistin, die das Foto anschließend veröffentlichte.
Bei den Märschen 2023 und 2024 in Köln nahmen Angehörige rechter Burschenschaften, der inzwischen aufgelösten IB-nahen Revolte Rheinland, sowie der „Jungen Alternative“ teil, so der wegen eines antisemitischen begründeten Angriffs verurteilte Maximilian Hunze, Simon Thiele (Raczeks zu Bonn und Revolte Rheinland), Simon Blumencron (Germania Köln und IB), Leon Poklitar (Ghibellinea zu Prag in Saarbrücken), Florian Köhl (stellvertretender Vorsitzender der JA Düren, Burschenschaft Praga Teutonia und IB) und Jeremy Franosch (Rhenania Salingia zu Düsseldorf und rechter Rapper). Auch die rechtskonservative „TFP Studenten Aktion“ (Tradition, Familie, Privateigentum) nahm in Köln teil.
Der Marsch nennt sich überparteilich und überkonfessionell, was offenbar auch erlaubt, Verbindungen zur Neuen Rechten zu pflegen. Martin Lohmann, Linders Vorgänger im BvL-Vorstand, schreibt regelmäßig für die AfD-nahe „Junge Freiheit“. Linder selber hält es für ihre Aufgabe, buchstäblich überall über ihr Anliegen zu sprechen, wo man sie einlädt. Das darf dann auch die „Berliner Bibliothek des Konservatismus“ sein, die wiederum ein Treffpunkt der Neuen Rechten ist.
Planungen für 2025
Der Kongress „Leben Würde“ soll vom 09. Bis 11.Mai in Schwäbisch Gmünd stattfinden, organisiert vom BvL und IDEA sowie rund 30 weiteren Kooperationspartnern. Tagungsort ist „Schönblick – Herz trifft Himmel“, ein komfortabel ausgestattetes „christliches Gästezentrum“, gut 40 KM von Stuttgart entfernt.
Am 20.September 2025 findet der Lebensmarsch wieder parallel in Berlin und Köln statt. Dieses Jahr standen 3.500 Gegendemonstrant*innen ca. 2.000 Lebensmarschierer*innen gegenüber. Zum zweiten Mal konnte die geplante Marschroute wegen erfolgreicher Blockaden nicht eingehalten werden. Es wäre gut denkbar, dass 2025 der erfolgreiche Widerstand seine Fortsetzung findet.