Extreme Rechte in Neunkirchen-Seelscheid: Rassistische Pöbelei, Brandstiftung und Neonazi-Nachwuchs

Neunkirchen-Seelscheid hatte in den vergangenen Monaten zwei rassistische Straftaten zu verzeichnen, darunter einen Brandanschlag auf ein Restaurant. Die beiden Bewohner konnten sich nur mit Glück aus dem brennenden Haus retten und erlitten dabei Verletzungen. Das betroffene Gebäude brannte nahezu völlig aus. In Neunkirchen-Seelscheid gründete sich als Antwort auf die beiden Übergriffe die Initiative Neunkirchen-Seelscheid ist bunt.

Die im Rhein-Sieg-Kreis gelegene Kleinstadt ist außerdem Wohnort eines jungen Neonazis, der sich gerade bundesweit in der gewaltaffinen JN (Junge Nationalisten) vernetzt, der Nachwuchsorganisation der Partei „Die Heimat“ und der vormaligen NPD.

Restaurant in Neunkirchen-Seelscheid nach Brandanschlag (Foto: AROB)

Eskalierter Rassist zieht Co2-Pistole

Am 08.Juli dieses Jahres bedrohte ein 25-jähriger Neunkirchen-Seelscheider einen Mann und dessen Mutter unter anderem mit den Worten „Hau ab, das ist mein Dorf“. Anschließend holte er eine Co2-Pistole aus seinem Rucksack und gab mindestens einen Schuss ab. Die Ermittlungen wurden an den Staatsschutz abgegeben, weil der Auseinandersetzung augenscheinlich ein rassistisches Motiv zugrunde lag.

Rassistisch motivierter Brandanschlag auf ein Restaurant

Nur wenige Tage später, in der Nacht auf den 22.Juli, wurde in Neunkirchen-Seelscheid ein rassistisch motivierter Brandanschlag auf ein beliebtes Restaurant („Haus im Park“) ausgeführt, dass von zwei tunesischen Staatsbürgern betrieben wird. Der Brand wurde laut Polizeiberichten im ersten Stock gelegt, die Täter müssen demnach in das Haus eingedrungen sein. Als die zwei Bewohner den Brand mitten in der Nacht bemerkten, stand die Treppe, über die sie ins Erdgeschoss hätten fliehen können, bereits in Flammen. Nur mit Glück und viel Mut konnten sie sich aus dem brennenden ersten Stock retten, indem sie aus einem Fenster sprangen. Dabei erlitten sie mehrere Brüche. Der Dachstuhl und der erste Stock ihres Restaurants wurden nahezu völlig zerstört. Auf die Mauern des Gebäudes und auf Mülltonnen sprühten die Täter rassistische Parolen („raus Ausländer raus“) und Hakenkreuze. Bisher konnten sie nicht ermittelt werden.

„Ausländer raus“-Sprüherei auf dem ausgebrannten Restaurant in Neunkirchen-Seelscheid (Foto: AROB)

Nur durch einen Zufall waren die Familien der beiden Restaurantbetreiber zur Tatzeit nicht im Haus. Wären sie ebenfalls in der Wohnung gewesen und hätten die Betroffenen den Brand nur wenig später entdeckt, hätte es zu einer Katastrophe kommen können, die der von Solingen oder Mölln kaum  nachgestanden hätte. So jedoch wurde von dem rassistischen Anschlag nur in regionalen Zeitungen berichtet.

Neunkirchen-Seelscheid ist bunt“ reagierte schnell mit Protestaktionen

Die Bewohner*innen von Neunkirchen-Seelscheid reagierten in der Mehrzahl betroffen und gründeten anlässlich dieser beiden Vorfälle die Initiative Neunkirchen-Seelscheid ist bunt. Innerhalb kurzer Zeit konnten für kleinstädtische Verhältnisse beachtlicherweise 400 Teilnehmer*innen für eine Menschenkette zwischen den beiden Tatorten mobilisiert werden[1]. Auch ein Unterstützungsnetzwerk für die betroffenen Familien nahm seine Arbeit auf.

Seelscheider Neonazi-Nachwuchs

Jenseits dieser beiden Gewalttaten wurde jüngst bekannt, dass Paul Fuchs, ein junger Neonazi aus einem kleinen Vorort von Seelscheid, den Aufbau einer extrem rechten Aktionsgruppe im Rhein-Sieg-Kreis betreibt. Die sogenannte Rheinlandbande mit Tätigkeitsschwerpunkt im Rhein-Sieg-Kreis steht den Jungen Nationalisten (JN) nahe. Die JN ist die Jugendorganisation der ehemaligen NPD, die sich in „Die Heimat“ umbenannt hat.

Paul Fuchs (oben) bei der Sommersonnenwendfeier 2023 in Eschede (Quelle: Internet, Account der JN)

Die Rheinlandbande beschreibt sich selbst als ein Zusammenschluss junger Männer, die miteinander Sport treiben, leistungsorientierte Wanderungen vor allem im Siebengebirge absolvieren oder auch mal zusammen Fußballspiele gucken. Was sich so harmlos anhört bekommt jedoch einen anderen Klang, wenn die Rheinlandbande außerdem mehrtägige bundesweite Camps der JN (mit-) organsiert, die in den Wäldern im Grenzgebiet zwischen dem Rhein-Sieg-Kreis und Westerwald abgehalten werden. Hier nehmen die jungen Neonazis an einschlägigen poltischen Schulungen teil und lassen sich paramilitärisch ausbilden in Kampftechniken, der Bergung und Versorgung von Verletzen oder dem Exerzieren. Ein Motto der Gruppe: „Das Rheinland soll wieder wehrhaft werden“.

Neonazi-Szene vom Rhein-Sieg-Kreis bis zum Westerwald

Die Rheinlandbande arbeitet eng mit dem Freundeskreis Westerwald zusammen, der von der seit vielen Jahren bekannten Neonazi-Aktivistin Melanie Dittmer organisiert wird. Sie verlängert den Freundeskreis Westerwald vom südlichen Rheinland-Pfalz bis ins nördliche Nordrhein-Westfalen, beide zusammen bespielen so ein recht großes und sehr ländliches Gebiet mit gemeinsamen Aktionen. Der regionale Schwerpunkt der Rheinlandbande liegt in den Kleinstädten Hennef, Sankt Augustin und Siegburg, mit regelmäßigen Ausflügen ins Siebengebirge oder nach Blankenberg – also überall hin, wo Burgruinen und andere Steinmonumente Neonazis glauben lassen, sie könnten eine mystische Verbindung zu ihren Ahnen beschwören.

Paul Fuchs mit Melanie Dittmer unterm Weihnachtsbaum (Quelle: Internet)

Bundesweite Vernetzung mit der extremen Rechten

Die im Westerwald lebende Melanie Dittmer führt Paul Fuchs als ihren politischen Ziehsohn außerdem in das „who is who“ der bundesweiten Neonazi-Szene ein und nimmt ihn mit zu Fahrten in das „Bildungszentrum“ Guthmannshausen, einem Ort der Vernetzng von Holocaustleugnern und militanten Neonazis [2], oder zum Schnitzelessen ins Gasthaus von Tommy Frenck in Thüringen [3].

Sehr gute Kontakte hat Fuchs inzwischen zur niedersächsischen JN, zweimal nahm er bereits an deren völkischen Sommersonnenwendfeiern im Heimathof in Eschede teil, einem bundesweit bekannten Treffpunkt der JN [4]. Das Medienkollektiv Recherche Nord hat Feier und Vernetzungstreffen umfassend dokumentiert und unter anderem ein Video erstellt. Gleich das erste Bild zeigt Fuchs (mit Fernglas), weitere Bilder, auf denen er sich gut erkennbar und demonstrativ ins Bild stellt, folgen im Video [5]. Auch im Magazin Der Spiegel wurde der Neunkirchen-Seelscheider bereits erwähnt. Ein Artikel über geleakte Internet-Chats der JN berichtet über die Unterhaltung zwischen „fuchs“ und anderen JN-Angehörigen: Die Rheinlandbande hätte eine Regenbogenfahne im Wald verbrannt möchte nun die szenetypisch martialischen Fotos davon ins Internet stellen. Weil das Verbrennen der Regenbogenfahne jedoch strafbar ist, rät man ihm ab[6]. Die Antifaschistische Recherche Oberberg (AROB) veröffentlichte Ende Oktober einen Artikel über die Rheinlandbande und Paul Fuchs in der Lotta ­- Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen [7].  

Als Hitler-Junge verkleidet (Quelle: Internet)

Der Nesthocker

Paul Fuchs – mit seinen grade eben noch 19 Jahren ein Teenie – wohnt bei seinen Eltern in einem kleinen Ortsteil von Neunkirchen-Seelscheid und arbeitet im fußläufig gelegenen Industriegebiet „Bitze“ (Gemeinde Much) bei einer Firma für Energietechnik. Sein Arbeitgeber schickt ihn immer mal wieder zu Berufsbörsen in umliegende Schulen. Den Eltern von Fuchs kann dessen extrem rechtes politisches Engagement wohl kaum entgangen sein, übt dieser doch weder in seiner Kleidung, noch in seinen bis vor kurzem öffentlichen Social-Media-Accounts Zurückhaltung. Die der Hitler-Jugend-Uniform nachempfundenen Kleidungsstücke, mit denen sich Fuchs fotografieren ließ, wurden schließlich nicht nur im Internet gepostet, sie werden anschließend auch im familiären Wäschekorb gelandet sein, zusammen mit seinen T-Shirts aus einschlägigen Szene-Versänden, die Paul Fuchs – und übrigens auch sein Vater – auf Ausflugsfotos der Familie tragen. Keine Berührungsängste zeigt die Familie auch zur oben erwähnten Melanie Dittmer. Ganz im Gegenteil scheint die Familie bereits längere Zeit mit ihr bekannt zu sein. Da bekommt Fuchs im Dezember auch mal ein Geburtstagsgeschenk von ihr übereicht und alle zusammen lassen sich vor dem Fuchs’schen Weihnachtsbaum ablichten.

Paul Fuchs beim Oktoberfest 2022 in Neunkirchen-Seelscheid (Quelle: Internet)

Harmloser Jugendspleen?

Gerne wird auf dem Dorf von radikal rechten Jugendlichen gefährlich verharmlosend von einer vorübergehenden Phase gesprochen, die sich – wie auch immer – noch auswachsen würde. Spätestens bei einem Jugendlichen, der bereits derart tief in die Neonazi-Szene eingeführt wurde und bundesweit vernetzt ist, kann definitiv nicht von einem harmlosen Spleen die Rede sein, zumal die Eltern die Aktivitäten ihres Jüngsten tolerieren oder ihn sogar zu unterstützen scheinen. Seine politische Heimat – die JN – übt regelmäßig gewalttätige Übergriffe aus. Zuletzt griffen militante Neonazis bevorzugt Veranstaltungen wie den Christopher Street Day (CSD) an, darunter als Teilnehmer oder Anmelder der gewalttätigen Aufmärsche häufig die Jungen Nationalisten [8]. Die JN ist noch radikaler und gewaltaffiner als ihre Mutterpartei „Die Heimat“. Deren Verbot scheiterte 2017 nicht an ihrer antidemokratischen, illiberalen, verhetzenden und völkischen Politik, sondern an ihrer Bedeutungslosigkeit bei Wahlen. Von der Rheinlandbande sind bisher keine gewalttätigen Aktionen bekannt. Angesichts ihrer fortschreitenden Radikalisierung mag sich das in Zukunft ändern.


[1] https://ga.de/region/sieg-und-rhein/mehr-von-sieg-und-rhein/seelscheid-400-menschen-bilden-kette-gegen-gewalt_aid-117176119

[2]https://de.wikipedia.org/wiki/Ged%C3%A4chtnisst%C3%A4tte

[3]https://de.wikipedia.org/wiki/Tommy_Frenck

[4]https://taz.de/Neonazis-feiern-Sonnenwende/!6014916/

[5]https://www.youtube.com/watch?v=Js5wPK55Vsw

[6]https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-geheimen-chats-der-npd-jugend-a-51bf8dd7-3991-44dc-ade5-763ae824a5f6

[7] – Herbst 2024

[8] https://jungle.world/artikel/2024/34/csd-rechtsextreme-die-angriffe-gegen-pride-paraden-nehmen-zu