Von völkischen Landsitzgründungen oder neurechten Siedlungsprojekten im eher strukturschwachen Osten wurde in den letzten Jahren häufiger berichtet. In NRW dagegen – und hiervon soll dieser Artikel handeln, genauer gesagt vom Oberbergischen Kreis – konzentriert sich die Recherche weitestgehend auf die zahlreichen großen und mittleren Städte. Doch auch im ländlichen Raum kann eine verstärkte Wühlarbeit beobachtet werden, wenn es auch bisher noch nicht zu einer größeren Anzahl von Gründungen durch völkische Siedler, christliche Sekten, Selbstverwalter, Neurechte oder Souveränist*innen gekommen ist.1
Es gibt hier wie dort ein sehr heterogenes und unübersichtliches Wimmelbild von Maßnahmengegner*innen, Verschwörungs-Nazis, QAnon-Jüngern, Reichsbürger*innen und Anhänger*innen der Anastasia-Bewegung. Gerade die Heterogenität und die wild-beliebige Vernetzung der Szenen untereinander – zumeist per Telegram, zunehmend auch im Reallife – scheint uns gefährlich, denn sie ist zum einen anschlussfähig an eine links-bürgerliche Ökoszene mit einer ego-geleiteten, bis zur Trivialität verkürzten Gesellschaftskritik, zum anderen wirkt sie faschismusverharmlosend. Nicht zuletzt bildet sie als Ganzes eine Radikalisierungsmaschine, die einen nicht unerheblichen Teil der „Querdenker*innen“ immer weiter in die Rabbit Holes2, somit in eine antidemokratische Parallelgesellschaft zieht. Allen gemeinsam ist – je tiefer im Bau, desto deutlicher – dass sie sich auf den „Tag X“ vorbereiten – den mehr oder weniger gewaltsamen Zusammenbruch der jetzigen Regierung und des (globalisierten) Kapitalismus –, ihn als Angstkulisse in düstersten Farben schildern und/oder ihn aktiv herbeiführen möchten.
Am Beispiel des Oberbergischen Kreises (OBK) soll der Versuch unternommen werden, das sehr unübersichtliche Netzwerk der Kaninchenbauten mit seinen Gängen bis ins die angrenzenden Regionen und bis ins Ausland, die verschiedenen Schattierungen der Aussteiger*innen – von Irgendwie-Unzufrieden bis rechtsextrem völkisch –, und den Aktivist*innen der jeweiligen Szenen und ihrer Vorgehensweisen zu analysieren.
Exemplarisch soll die Wühlarbeit anhand einer Schlüsselfigur im OBK – Christoph S. – analysiert werden.
Christoph S. – Beharrlich wühlende graue Eminenz oberbergischer Kaninchenbauten
Christoph S., ehemaliges Mitglied der ÖdP und dem Anschein nach Mitglied des Veteranen-Pools3 hat schon lange vor dem Ausbruch der Pandemie damit begonnen, alternative Lebensformen zu organisieren. Dagegen wäre wenig einzuwenden, hätte er nicht stets auch Narrative der Verschwörungsnazis verbreitet und insgesamt für undurchsichtige, sektenartige, autoritäre Strukturen gesorgt.
Seit Jahren gründet er beispielsweise Ableger der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi), verlässt diese allerdings offensichtlich auch vergleichsweise schnell wieder. Die verbliebenen SoLaWistas ignorieren in Teilen die Grundprinzipien des ihres Dachverbandes „Netzwerk Solidarische Landwirtschaft“, welcher sich klar gegen Rassismus „und andere diskriminierenden oder menschenverachtenden Bestrebungen“ stellt4. Stattdessen macht sich Schwärmerei über die Anastasia-Bewegung breit und findet immer mehr Anhängerinnen, die deren antisemitischen und völkischen Anteile leugnen.
Zu Beginn der Pandemie und der Zunahme von Verschwörungsgläubigen und -ideolog*innen erhielt Christoph S.‘ Wühlarbeit bedeutenden Zulauf5. Seither vervielfachen sich seine Projekte und der Bau der Rabbit Holes nimmt an Fahrt auf. Ein interessantes frühes Beispiel ist seine Zusammenarbeit mit dem „Heilerhof“, weil sich die bewusste politische Verharmlosung der Bewegung hier schon zeigt und zugleich ganz klar die fehlende Abgrenzung nach (extrem) rechts.
Unterm Radar bleiben, bitte! – Christoph S. und der „Heilerhof“
Der Heilerhof ist ein kleiner Fachwerkhof am Rand eines Industriegebietes im südlichen Oberbergischen, zugleich der gleichnamige QAnon-gläubige, Umsturz- und Rachefantasien verbreitende Telegram-Kanal.6 Die Betreiber*innen wurden unterstützt durch einen Verein von Christoph S. Gemeinsam warben sie für sogenannte „Brotbacktage“: Zusammenkünfte, für die während des „Lockdowns“ dezidiert die Hygienemaßnahmen unterlaufen werden sollten. Dem Ordnungsamt fiel wohl die größere Anzahl von Besucherautos mit überregionalen Kennzeichen auf und begann an den Wochenenden zu kontrollieren. Daraufhin passierte zweierlei: Der Kanal des Heilerhofs betrieb ab sofort nur noch langatmigen Austausch über Kitsch & Kräuter, während Verschwörungsideologisches und Gewaltfantasien zum „Tag X“ in eine private Gruppe verlegt wurden. Christoph S. erteilte ihnen zum Anderen einen Abriss, man werde verstehen, dass sein Verein sich nun zurückziehen müsse, denn er wolle nicht derart unnötig die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich ziehen.
Die Absicht, unter dem Radar der Behörden zu bleiben, ist von vorneherein strategisches Ziel und wird auch deutlich kommuniziert. Ziele und Aktionsformen werden verharmlost, verzuckert und bewusst im Vagen gehalten. Die Verharmlosung funktioniert auch in eine zweite Richtung: Interessent*innen werden nicht (sofort) durch radikale Umsturzfantasien verschreckt und können erstmal in die Bewegung hinein fühlen. 7
Aber noch ein zweites Charakteristikum wird hier ebenfalls deutlich: Die frühe Bildung von Vereinen als Organisationsform.
Überall Vereine: Die Verbindung zu Peter Kittl in Österreich
Das Konzept der Vereinsgründungen in Österreich und Genossenschaftsgründungenin der Schweiz wirdin großem Stil von Peter Kittl aus Wien beworben. Er tourt für Vernetzungstreffen im gesamten deutschsprachigen Raum und propagiert eine scheinbar passende Organisationsstruktur mit gewissen juristischen, fiskalischen und haftungsrechtlichen Möglichkeiten8 für Gründungen von Wohnprojekten und Geschäftsideen aus der verschwörungsideologischen Szene. Kittl selber redet vom österreichischen Verein als „rechtsfreiem Raum“, Ziel sei „Für Ein Neues Miteinander in die Neue Zeit“ (!). Tatsache ist, dass aus NRW eine größere Anzahl an Vereinsgründungen in Wien stattgefunden haben. Christoph S. selber hat bereits sehr früh damit begonnen Vereine zu gründen mit denen er wiederum andere Projekte unterstützt (s.o). Und er organisiert zahlreiche Workshops in unterschiedlichen Formaten mit Peter Kittl im Oberbergischen und angrenzenden Landkreisen.
Kittl fühlt sich unter völkischen, antisemitischen, rassistischen, autoritären und antidemokratischen Familienlandsitzgründer*innen besonders wohl. Regelmäßig hält er seine Workshops auf dem Mutterhof im Allgäu bei Robert Briechle ab9, auch trifft er sich gerne mit Martin Laker von der Engelsburger Akademie bzw. den Engelsburger Neuigkeiten10, um hier die prominentesten zu nennen.
Sein Wohnmobil trägt ein Patch von „S.H.A.E.F.“, womit er sich irgendwo zwischen Reichsbürgerszene – in der die Rechtmäßigkeit der BRD nicht anerkannt wird und stets von „der Firma“ gesprochen wird – und QAnon-Gläubigen bewegt, die in Trump und neuerdings in Putin die kommenden Erlöser des von Marionetten regierten deutschen Volkes sieht und eine geheime militärische Übernahme durch Streitkräfte aus den USA nach einem geheimen Plan bereits im vollen Gange wähnt.11
Trotz allen Nebels über den Eingangslöchern zu den Rabbit Holes lassen sich also klare Linien von den Oberberger Wühlern hin zu überregionalen Zusammenhängen nachweisen und damit vor allem Kontakte zu ausgewiesenen völkischen, rechtsextremen Aktivist*innen der Parallelgesellschaften. Neben der formal-organisatorischen Absicherung durch Vereinsgründungen in Österreich, hatte Christoph S. ebenfalls schon früh einen weiteren überregionalen Vernetzer an seiner Seite, nämlich den Profi und Betreuer rechtsextremer Telegram-Kanäle schlechthin.
„Frank der Reisende“ – Dirigent des Radikalisierungsorchesters im Netz
Ein Post auf einem frühen, mittlerweile nicht mehr existenten Telegram-Kanal (EoI Oberberg; Einkaufen ohne Impfung) belegt, dass dieser und einige weitere Kanäle von Christoph S. unter die Fittiche von „Frank der Reisende“ genommen wurden12. Auch heute werden Christoph S.‘ Kanäle noch durch ihn betreut, so wie weitere aus demselben Milieu (s.u.).
Frank der Reisende orchestrierte ab 2020 die „großen“ Kanäle der Corona-Leugner*innen und Impfgegner. Sie wurden untereinander vernetzt, indem 24/7 automatisiert Links von weiteren Kanälen in den Gruppen auftauchten. Noch mehr und noch abgehobenerer Unsinn, eine noch abstrusere Verschwörungserzählung, antisemitisches Geraune über „die Eliten“ und die kommende Befreiung am „Tag X“ durch Shaef und die White Heads oder bis zur sinnfreien Totalverstümmelung schlampig übersetzte russische Bots liegen immer nur einen ganz kleinen Klick weit entfernt, perpetuieren sich wie Bandwürmer ins Unendliche und wiederholen sich derart zahlreich, dass sie immer wichtiger, „wahrer“ und näher erscheinen13. Am Ende reichen nur noch einzelne Codewörter – der Kontext ist völlig egal – um die entsprechenden Assoziationen und Bilder abzurufen.
In dieses Netzwerk wurden 2020 auch Christoph S.‘ Telegram-Gruppen und Kanäle eingebunden!
Die virtuellen Eingänge der Kaninchenbauten und die Gänge in die Parallelgesellschaften im Netz wurden also ebenfalls sehr früh angelegt. Durch die Zusammenarbeit von Christoph S. und „Frank dem Reisenden“ wird der gezielt hergestellte Sog von bisher eher harmlosen Maßnahmegegner*innen hin zu Verschwörungsgläubigen und Menschen mit gefestigtem antidemokratischem Weltbild bis zu Rechtsextremen, Reichsbürgern und Souveränist*innen deutlich.
Mehrere Charakteristika und Strukturen der Oberbergischen Rabbit Holes und der Wühlarbeit von Christoph. S. wurden bisher benannt: die klare Absicht, unterhalb der Aufmerksamkeit der Behörden zu segeln um keine Aufmerksamkeit auf die Parallelstrukturen zu lenken, die orchestrierte Sogbewegung von zunächst vielleicht nur mit der Pandemiepolitik Unzufriedener in tiefere (radikalere) Bauten, die Schaffung einer zunehmend entfremdeten und abgeschotteten Parallelgesellschaft mit Sektenstrukturen und die schier unentwegte Vernetzungstätigkeit im Netz und im Reallife.
Was außerdem hinzukommt ist die Schaffung und der Ausbau von alternativen Institutionen, besonders die Entwicklung alternativer Vertriebswege, und hier wiederum vor allem solche für Lebensmittel.
Die Salatconnection – Auf dem Weg in eine verschworene Gemeinschaft
Auf dem Weg in die Parallelgesellschaft werden entsprechende soziale und wirtschaftliche Parallelstrukturen geschaffen. Es gibt Stammtische und Partner*innenbörsen , Listen von Händler*innen und Dienstleister*innen, die sich nicht an die Hygienemaßnahmen halten, gemeinsame Wanderungen und Fahrradtouren, DiY-Tipps für Gemüseanbau, Lagerung und Haltbarmachung von Lebensmitteln, eine Liste mit Wasserquellen und mit Funkern in den verschiedenen Postleitzahlgebieten14, Tips für die Bekämpfung von Chemtrails, Tausch- und Jobbörsen, Empfehlungen für Handwerker, energetisiertes Wasser, Eso-Tand („Taschenorgoniten“!) und allerhand Selbstgebasteltes und Kunstgewerbliches.
Besonders viel Energie wird selbstorganisierten Vertriebsstrukturen von Lebensmitteln gewidmet. Mehrere Kanalbetreiber im OBK schaffen aus dem Ausland Honig, Olivenöl, Obst und Gemüse herbei. Andere fahren wöchentliche Touren von Erzeugerhöfen aus dem Bergischen bis in den Köln/Bonner und Wuppertaler Raum. Meist handelt es sich um Untergruppen der größeren Kanäle, die im jeweiligen Lieferrhythmus aktualisiert oder neu aufgelegt werden. Vor den Lieferungen werden Bestellungen aufgegeben und Depotstellen gesucht zur Verteilung der Lebensmittel. Die Abnehmer*innen werden teilweise relativ kurzfristig vor Eintreffen der Lieferung über die Uhrzeit informiert, gelegentlich erst dann auch über die Treffpunkte und Depotstellen.
Interessierte werden in dazugehörige Vereine genötigt (s.o.), nehmen an Gruppentreffen teil, man möchte sich gründlich kennen lernen und die Kontakte untereinander eng und enger verknüpfen. Dasselbe gilt auch für die Vernetzungstreffen und Workshops der Szene und Anmeldungen bei den einschlägigen Treffen: Der Sog in die Strukturen hinein wird stärker.
Warum die Aktivist*innen derart viel Energie auf die Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln aufwenden wird ausnahmsweise mal halbwegs deutlich benannt: Es sollen Wege aufgebaut werden für eine Zeit, in der es zur Krise der bestehenden Gesellschaft und Wirtschaftform kommt. Anders ausgedrückt: Es wird sich vorbereitet auf den „Tag X“, mit Trinkwasser, Lebensmitteln, Funkgeräten und weiterer Infrastruktur. Über reines Preppertum gehen die Szenemanager hinaus: Sie arbeiten zusätzlich an der Errichtung rechtsfreier, möglicherweise völkisch geprägter Räume, sie sind also ihrem Selbstverständnis nach zumindest als Selbstverwalter und/oder Souveränisten15 zu bezeichnen.
Zurzeit finden regelrechte Säuberungen (Schließungen) in einigen lokalen Kanälen statt, indem passive Abonnenten rausgeworfen werden. Wer übrigbleibt, ist den Aktivisten durch „Fair“einstreffen und „Fair“teilaktionen persönlich bekannt. Zum einen wird so kontrolliert, wer aus welchen Gründen und mit welcher Verbindlichkeit Mitglied ist, zum anderen wird die Identität der verbleibenden Mitglieder gestärkt: Sie dürfen von sich überzeugt sein, dass sie Aktivist*innen einer neuen und widerständigen sozialen Bewegung sind, können sich zu den Erweckten und Aufgewachten zählen und gehören einer halbklandestinen, verschworenen Gemeinschaft an – der Avantgarde des Widerstandes gegen den „deep state“. Je besser man sich kennt, desto informeller und direkter wird die Kommunikation, die breit angelegte Sammlungsbewegung teilt sich in innere Kreise und Peripherie. Deutlich wird in den Posts die aufgekratzte, leicht manische Aufbruchstimmung. Die nächsttiefere Etage der Rabbit Holes ist erreicht, Umkehren wird langsam schwierig.
Interessant ist zudem der Umgang mit Geld: Jede gibt, was sie für richtig hält und die Organisator*innen nennen dies dann zum Beispiel „Energieausgleich“. Überschüsse werden in die Projekte und Vereine gesteckt. Neben der Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben wird so eine eigene, möglichst in sich geschlossene Schattenwirtschaft geschaffen16. Wegen des sozialen Drucks und der überemotionalisierten Stimmung wird für die Erzeugnisse sehr viel mehr Geld auf den Tische gelegt, als mensch für gute Bioprodukte bezahlen müsste. Dasselbe Prinzip wird auch auf Workshops und andere Veranstaltungen angewandt. Nicht zuletzt wird auch durch die Abkopplung vom Geldsystem Autarkie vorbereitet, so wie mit Funkgeräten, Wasserquellen, Lebensmitteln und zu guter Letzt den Familienlandsitzen.
Gute Seelen und Morgengrüße – Gurus, Kitsch und Connections
Die oben beschriebenen Verbindungen betrafen vor allem Dienstleister der Rabbit Holes. Daneben gibt es zahllose weitere Abzweigungen und Querverbindungen, die Christoph Sch. aufbaut, administriert und immer enger verknüpft.
Einer seiner „guruesken“ Protagonisten ist beispielsweise Riccardo A. aus dem rheinlandpfälzischen Ahrtal. Dessen im März 2021 gegründeter und von Christoph S. administrierter Kanal „Kollektives Bewusstsein“ hat mittlerweile über 12k Abonnent:innen und eine Untergruppe (Riccardo’s (!) Reale Bekanntschaften) mit 92 Anhängerinnen. Riccardo verbreitet zuckrige oder auch mal ungehaltene, in jedem Fall aber weitgehend triviale Morgengrüße, die stets mit einem Feuerwerk von Herzchen, betenden Händen und grauenhaft kitschigen GIFs beantwortet werden. In den Kommentarfunktionen wird jedoch vollkommen unwidersprochen und unmoderiert von Souveränist*innen auf den Tag X und den Ausstieg aus der „BRiD“ hingearbeitet und die üblichen Hassposts über Vergeltungsaktionen an der „Marionettenregierung“ hinter der „Plandemie“ herbeifantasiert.
Christoph S. organisiert auch Riccardos Vernetzungstreffen im RL. Eines davon wurde Anfang Mai in „Die Mühle“ in der Nähe von Wipperfürth abgehalten unter musikalischer Begleitung von „Eloas Min Barden“ alias Jens Lachenmayr aus Österreich, der gerne auf Veranstaltungen von „Querdenkern“, Reichsbürgernahen und Anastasia-Anhängern auftritt oder auch in deren Wohnzimmern und Garagen.17;18
Weitere Hotspots der oberbergischen Coronazis teilen Links und Einladungen zu konkreten Treffpunkten, beispielsweise „Oberberg bewegt !“ Kanal der Gummerbacherin Eva S., ihres Zeichens unverhohlene antisemitische Geschichtsrevisionistin, Holcaustleugnerin und Verehrerin des NS und Adolf Hitlers, oder der bereits oben erwähnte Heilerhof. (Christoph Sch. und Eva kooperierten zu Beginn der Coronaproteste, gingen aber bald getrennte Wege. Nichtsdestotrotz werden Kanäle und Veranstaltungshinweise von Eva weiter geteilt und verbreitet.)
Regional kooperiert das oberbergische Netzwerk mit weiteren, gleichartig aufgebauten Netzen. Enge Verbindungen bestehen zum Beispiel in den Köln/Bonner-Raum. Hier arbeiten Jörn K. – ehemaliger Vertriebler von Investitionsgütern und seines Zeichens Anhänger des umstrittenen Geistheilers Bruno Gröning – und Tanja L. an der Bildung von Parallelstrukturen mit dem Ziel von Dorfgründungen, Freien Schulen etc.. Es gibt Querverbindungen beider Netzwerke über Milieudienstleister wie „Frank der Reisende“, man organisiert Workshops und Vorträge über Riccardo A.’s Kanal, dealt mit Lebensmitteln und gründet Vereine nach demselben oben beschriebenen Muster. Die zahlreichen Kanäle von Jörn K. und Tanja L. unter dem Dach des Vereins „Paradiesum“ bilden Untergruppen zu Freien Schulen, Lenkungsgruppe, Mehrgenerationendorf etc. Sehr viel deutlicher als Christoph Sch. bekennt man sich in den Kanälen zur Anastasia-Bewegung. Beide leben in Hennef im Rhein-Sieg-Kreis.
Das sind doch nur besorgte Eltern und Unzufriedene Bürger, keine Nazis! Oder: Mit was haben wir es denn jetzt hier eigentlich zu tun?
Beschrieben wurden hier lediglich exemplarische einzelne Projekte und Protagonist*innen des Oberbergischen Netzes rund um Christoph S. Er betreut weitere „Gurus“, die Ausstiegswillige einfangen und radikalisieren, administriert deren Kanäle und organisiert Treffen und Workshops, findet Veranstaltungsorte und bleibt selber im Hintergrund. So gesehen könnten wir ihn als „Milieu-Manager“ bezeichnen19 oder eben als „graue Eminenz“ der Szene.
Die Pläne von Siedlungsgründungen und Schaffung einer antidemokratischen Parallelgesellschaft auf die die Arbeit die Christoph S. hinwirkt, weisen zusammengefasst folgende Strukturmerkmale auf:
– Er fliegt unter dem Behördenradar, verschleiert seine Pläne des Ausbaus von Parallelgesellschaften, Ausstiegs- und Siedlungsprojekten und den ideologischen Hintergrund von Souveränist*innen bzw. Selbstverwalter*innen mit (indirekter) Anbindung an Q-Anon und völkische Bewegungen wie die Anastasia-Bewegung;
– gründet ein eigenes dichtes Netzwerk von Vereinen und Telegram-Kanälen, verbindet diese direkt oder mittelbar mit mehr oder weniger offen völkischen und/oder rechtsextremen Aktivisten und wiederum deren Netzen („Frank der Reisende“);
– Kooperiert mit weiteren Milieumanagern und „Dienstleistern“20 der rechtsextremen Szene, baut aktiv Gurus auf und managt deren Kanäle und Treffen;
– Baut alternative Versorgungswege auf, um für einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Crash gewappnet zu sein, beginnt nun seine Gruppen und Kanäle zu schließen und passive Mitglieder auszusieben. Die Parallelgesellschaft bietet Identifikationsangebote, wird selbstgenügsam, kritikresistent, bildet inner circles und schottet sich mehr und mehr ab.
Es ist vielleicht verständlich, wenn in unserem Umfeld gefragt wird, ob das denn nicht alles vergleichsweise harmlose Leute sind, vielleicht ein bisschen spinnert, ein wenig verschroben-ökige Späthippies oder gute bürgerliche Eltern, die ihre Kinder schützen wollen, für Grundrechte eintreten, die die Regierung und deren Politik völlig zu Recht kritisch sehen… Und ob es keine wichtigeren Themen gäbe, wie die Hardcore-Nazis, den IS, den Überfall auf die Ukraine oder die Klimakatastrophe.
Gerne würden wir dem zustimmen, aber tatsächlich geht es um deutlich mehr, wie wir hier exemplarisch ausgeführt haben. Demokratie- und wissenschaftsentfremdende Verschwörungsnarrative sind längst milieuübergreifend salonfähig geworden, und ebnen den Weg in die Parallelgesellschaft, die sogenannte Mitte bildet längst kein Korrektiv mehr (wenn sie es denn jemals getan hat), befleißigt sich vielmehr selber zunehmend in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und im „rohen Bürgertum“ (Wilhelm Heitmeyer).
Unter der harmlosen Oberfläche findet eine Sammlungsbewegung statt, eine Soziale Bewegung nach rechts, die in einer abgeschotteten Parallelgesellschaft mündet. Die neuen Strukturen zeichnen sich aus durch Antisemitismus, autoritäre Sektenstrukturen, völkisches Denken, der kompletten Rückwärtsbewegung zu binären Geschlechterstereotypen (Männer sind wehrhaft, Frauen mütterlich, fürsorglich, bewahrend), vollständiger Immunisierung gegen Kritik und einer zum Teil erheblichen Gewaltbereitschaft gegen Andersdenkende. Die Idee der Scholle, die den Charakter prägt und Land und Eingeborene zu einer unauflöslichen Einheit zusammenbindet, stellt eine Variante des neurechten, rassistischen Ethnopluralismus‘ dar und ist im Kern völkisch. Antisemitismus erhält durch die verschwörungsideologisch geprägten Aussteiger*innen weitere Verbreitung und Normalisierung, gilt es doch der großen Verschwörung der jüdisch geprägten, global agierenden (also heimatlosen) Finanzelite und den Konzernen eigene Strukturen entgegenzusetzen, ja, sie auch gewaltsam zu bekämpfen. Alles übrigens durchaus verbunden mit esoterisch-sozialkitischiger kultureller Aneignung, die mit Diversität verwechselt werden könnte, jedoch als Positiv-Rassismus bezeichnet werden muss.21
Nicht alle der genannten ideologischen Versatzstücke sind bei allen Aktivist*innen zu finden und nicht alle Siedlungsprojekte folgen den völkischen Grundsätzen Anastasias oder sind neurechte Siedlungen. Was Christoph Sch. betrifft, legt er sich keineswegs fest und äußert sich offensichtlich bewusst nicht eindeutig, hält aber explizit direkte Verbindungen zu und kooperiert mit allen genannten ideologischen Strömungen. Sein Bestreben, jenseits staatlicher Strukturen rechtsfreie Räume zu erschließen halten wir für hinreichend belegt, sodass wir ihn (mit Jan Rathje) der Szene der Selbstverwalter zurechnen.
Es ist aber gerade das der Erkenntnisgewinn unserer Recherchen: Dass die Szene ein Wimmelbild unterschiedlicher Kräfte bildet, dass es eben keine scharfen Grenzen gibt zwischen „Unzufriedenen“, Aussteiger*innen, Familienlandsitzbetreibern und Neurechten Siedlern; dass die Protagonist*innen kein geschlossenes ideologisches Weltbild verinnerlicht haben, aber fluide und eklektizistisch alles einbauen, was ihnen momentan gerade mal gefällt. Möglicherweise ist so auch erst eine Dynamik möglich, die eine Rechte Soziale Bewegung in Gang bringt und aufrecht erhält, die weitestgehend durch Emotionalisierung angetrieben wird und eben nicht durch politische Theorien. Und wer kann schon vorhersagen, ob ein ökologisch-esoterisches „Mehrgenerationendorf“ sich nicht vielleicht weiterentwickelt zu einer braun-esoterisch-ökologischen neurechten Sekte?
1 In Hessen und im Sauerland gibt es zwei größere Projekte (https://www.swr.de/report/eigene-welt-der-impfgegner-rechtsfreie-raeume-mitten-in-deutschland/-/id=233454/did=25473068/nid=233454/113ed01/index.html), gibt Pläne für weitere Grundstücksankäufe, z.B. in Kreuznaaf bei Lohmar.
2 Die Metapher der „Rabbit Holes“ wird in Anlehnung an Lewis Carrolls Roman „Alice im Wunderland“ benutzt, in dem die Protagonistin in einen Kaninchenbau fällt und von dort aus immer tiefer in eine wunderliche Parallelwelt gerät, aus der sie nicht mehr hinaus findet. Siehe auch die Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung „Down the rabbit hole. Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien.“ https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/06/DownTheRabbitHole_web.pdf; dl 07.06.2022
3Der Veteranen-Pool ist eine den extremen Verschwörungsideologen nahe Gruppe größtenteils inaktiver Soldat*innen, eng vernetzt mit Rechtsextremen und QAnon. https://www.belltower.news/monitoring-veteranen-pool-wir-ziehen-nicht-in-den-krieg-wir-sind-im-krieg-115039/
4 https://www.solidarische-landwirtschaft.org/das-konzept/vision-und-grundprinzipien#accordionHead8056; dl 06.06.2022
5 Eine ausführlichere Analyse (warum Verschwörungsideologen und -Narrative während der Pandemie stark zunahmen) bietet die o.g. Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung. (Die uns allerdings ein wenig zu sehr auf psychologische Motive abhebt und nur an wenigen Stellen darauf eingeht, dass es selbstverständlich interessegeleitete Organisationen und Verschwörungen von Industrie und Politik gibt [etwa die Münchener Sicherheitskonferenz, die verschiedenen neoliberalen Think-Tanks von Hayek bis zur Mont-Pelegrin-Societé], unübersichtlichen Verflechtungen zwischen Lobbyverbänden und politischen Gremien, und somit gute Gründe von Linken, diese auch zu benennen und zu bekämpfen; und dass der Wirtschaftsform „Kapitalismus“ hierbei ein großer Anteil zukommt. Die Umverteilung von Steuergeldern hin zu den Mineralölkonzernen („Entlastungspaket“) ist nur eines einer Vielzahl von Beispielen.
6 Bereits am 10.05.2021 wurden Infos zum Heilerhof und seinen Umsturzfantasien veröffentlicht: „Wie wäre es, wenn wir unsere Strategie ändern. (…) Dass ihr eure eigenen Truppen bildet, auch die aufgewachten Polizisten, auch die aufgewachten Militärs und endlich mal in die Tat übergehen und dass wir diese Tyrannei endlich mal beenden. (…) Wir müssen als Menschheit diesen Krieg gegen die Tyrannei führen. (…) Wir müssen endlich mal etwas tun, was nicht diesem Schwachsinn entspricht, was wir schon getan haben und wo wir gesehen haben es bringt nichts, sondern etwas Neues tun. (…) Wir müssen handeln. Es wird weh tun, aber besser es tut ein bisschen weh und es knallt richtig, anstatt dass wir das die nächsten Monate, die nächsten Jahre, jeden Tag ertragen müssen.“ (Sprachnachricht) https://www.facebook.com/ar.oberberg/, Post vom 10.05.2021.
7 Matthias Quent, Rechtsextremismusexperte aus Magdeburg beschrieb schon im Oktober 2020: „Die Strategie ist, durch Einsickern, durch Normalisierung auch bisher unauffällige Bürger von rechtsradikalen und völkischen Ideen zu überzeugen. Bis hin, dass man versucht, sie für eine Dorfwehr zu mobilisieren, also Parallelstrukturen und parastaatliche Strukturen aufzubauen. Diese sollen zum einen als Protestbewegungen gegen die offizielle Politik fungieren, aber zum anderen auch Rückfallstellungen sein. Sie sollen eigene Strukturen bilden, aus denen heraus dann, […] auch organisierte Angriffe auf die politische Ordnung stattfinden können. Das ist erklärte Strategie, das ist eine Gefahr“. https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/anastasia-bewegung-101.html; dl vom 22.06.2022
8 Kittls eigenes Netz: https://t.me/ila_faireint_im_WIR; www.lebensarchitektur.at
www.faireint.at; https://.w.ww.youtube.com/watch?v=tN6NqF40UkQ (Über das Modell von Vereinsgründungen in Österreich vor dem Hintergrund von
https://www.youtube.com/watch?v=RaWAEltvlps (Treffen auf dem Mutterhof)
9 Briechle führt den Mutterhof nach den Prinzipien der Anastasia-Bewegung als Familienlandsitz. https://www.facebook.com/mutterhof/
https://mutterhof.org/?fbclid=IwAR1mejxDKkK2z_5PdASH_Cx3AUe2G3bZXIyuTC2fqMJox5qnzgbo3KcZKtc
https://allgaeu-rechtsaussen.de/2020/09/08/mutterhof-unterthingau-gruen-umrankte-rechte-ideologie-aus-der-thing-au/
https://allgaeu-rechtsaussen.de/2020/11/16/umkaempfte-allgaeuer-oekoszene-mutterhof-unterthingau/
10 Infos zu Martin Laker und der Engelsburger Akademie: https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/religion/flensburg-akademie-engelsburg-6493.html
https://www.endstation-rechts.de/news/anastasia-und-das-deutsche-reich
https://www.hessenschau.de/gesellschaft/querdenker-reichsbuerger–co-hinter-der-bauernhofschul-idylle-stecken-wohl-rechtsextreme,bauernhofschule-querdenker-100.html
https://www.freie-radios.net/111181
11 Mehr zu dieser Ideologie: https://www.belltower.news/shaef-verschwoerung-commander-jansen-verbreitet-trumps-willen-auf-telegram-123213/
12„Frank der Reisende“ ist sogar laut Verfassungsschutz Reichsbürger und Rechtsradikaler. Mehr zu seiner Person und Position in der Coronaziszene: https://www.facebook.com/watch/?v=310470993982741; https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Schreibm%C3%BCller; https://www.belltower.news/frank-der-reisende-telegram-114277/
13 Offensichtlich reagieren die Leser:innen mittlerweile mit pawlowschen Reflexen, solange nur die richtigen Codewörter erscheinen, etwa BRid, Plandemie, Diktatur, Vebrecher, Nürnberg 2.0… Selbst sich gänzlich wiedersprechende und aufeinanderfolgende Behauptungen aus ein und derselben Quelle werden geteilt und von den „Selberdenkern“ abgefeiert. Medienkompetenz ist nicht gefragt, Leichtgläu bigkeit ausschließlich Menschen unterstellt, die dem widersprechen und gegen Kritik wird sich in den Kaninchnbauten komplett durch Leugnung und Projektion immunisiert.
14 Quellen sichern nach dem Zusammenbruch der BRD natürlich die Trinkwasserversorgung und damit den überlebensnotwendigen Zugang zu Wasser. Und wenn das Internet bzw. die komplette Stromversorgung zusammenbrechen, kann mit Funkgeräten die Kommunikation aufrechterhalten werden. Es wird demnach eine autarke Infrastruktur geschaffen, um sich ein Überleben jenseits der BRD zu sichern.
15 Jan Rathje unterteilt in seinem gleichnamigen Buch in „Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten“: Während Erstere das Deutsche Reich als letzte legitime Regierung begreifen, die es wieder einzusetzen gälte, glauben Selbstverwalter*innen aus dem Staat austreten zu können bzw. eigene Staaten gründen zu können. Souveränist*innen wiederum glauben, dass Deutschland derzeit einer Fremdherrschaft unterstehen würde und streben die Wiederherstellung staatlichr Souveränität an. (Jan Rathje: Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten. Vom Wahn des bedrohten Deutsche. Unrast Verlag 2017)
16 Die meisten Ideen alternativer Währungen und Geldkreisläufe fußen unverhohlen auf antisemitischen Narrativen (raffendes statt schaffendes Kapital, Zinsen als Mittel der „Blutsauger“). Gerade in Coronazikreisen werden solche antisemitischen Verschwörungserzählungen gut Anschluss finden.
17 https://allgaeu-rechtsaussen.de/2020/09/22/querdenken-in-kempten-gesinnungsfrei-rechtsoffen/; https://allgaeu-rechtsaussen.de/2021/05/05/querdenken-ravensburg-rechtsrock-und-volkszorn/
18 In „Die Mühle“ bei Wipperfürth fand Anfang Juni 2022 ebenfalls ein Workshop mit –> Peter Kittl statt.
19 Die Amadeu-Antonio-Stiftung nennt in ihrer Broschüre „Reichsbürger – Fragen und Antworten“ diejenigen Aktivisten „Milieu-Manager“, die Geld mit der Verbreitung ihrer Ideologie verdienen: „Sie bieten Seminare und Workshops an, in denen Interessierte lernen sollen, wie man sich seiner Schulden entledigt, keine Steuern zahlt oder sich gleich unter staatliche Selbstverwalter stellt.“ (https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2018/12/aas_lpb_broschuere-reichsbuerger.pdf). Mit Sicherheit dürfte Gelderwerb ein starkes Motiv für einige der hier genannten Aktivisten sein. Aber auch ideologische Motive für den Aufbau und die „Bewirtschaftung“ der Parallelgesellschaft werden eine Rolle spielen.
20 Zu gendern wäre hier nicht angemessen. Die sektenartige, autoritäre und patriarchalische Struktur begünstigt die charismatische Führung durch Männer, wiewohl einige Frauen einen guten Teil der Arbeit leisten.
21 Kulturelle Aneignung der Verschwörungsideologen findet im Übrigen auch gegenüber linker und antifaschistischer Kultur und Aktionsformen statt, bis hin zur vollkommenen Sinnentleerung und Pervertierung des Faschsimusvorwurfs. (Was nur „logisch“ ist, wenn das Tragen eines MNS und der Schutz vulnerabler Menschen als „Diktatur“ begriffen wird, der ein ebenso pervertierter Freiheitsbegriff gegenübersteht.)